Beziehungen sind eine große Herausforderung.
Ich glaube Menschen die Beziehungen „perfekt beherrschen“ (wer kann das schon, aber dennoch) wissen wie man gleichzeitig gemeinsam aber auch unabhängig von einander Lebensfreude generiert. Fast mein gesamtes Leben lang hatte ich mich immer auf meine Beziehungen oder auf Männer in die ich verliebt war verlassen bei der Generierung meiner Glückshormone. Außer wenn es um Sport ging…vor allem um das Tanzen. Der Tanz war vom ersten Augenblick an meine große wahre Liebe, eine Liebe die nie nachließ oder aufhörte zu existieren. Mit 33 Jahren bin ich nun am Punkt angekommen, wo ich verstehe, dass man nicht alles Glück der Welt von seiner Beziehung allein erwarten kann, man ist für seinen mentalen Zustand primär selbst verantwortlich. So weit so gut.
Nun bin ich in der seltsamen Situation, dass ich aus London wieder zurück nach Berlin gezogen bin vor fast einem Monat und freiwillig eine Fernbeziehung zwischen mir und meinem Freund kreiert habe, mit dem ich bald 3 Jahre zusammen sein werde. Ihr erinnert euch vielleicht an meinen 4.5-Jahre jüngeren Freund, der es noch zu früh findet zu heiraten und eine Familie zu gründen…?
Nun sitze ich hier und versuche zu verstehen was in mir vorgeht. Ich fühle mich oft leer und einsam wenn ich alleine bin und dann bin ich doch glücklich, dass ich endlich Zeit für mich habe. Am Anfang habe ich so oft es geht versucht mich mit Freunden zu treffen, die in mir Glücksgefühle wecken und mit denen ich Spaß habe, doch ich habe gemerkt, dass ich mich zu sehr an sie klammere und unbewusst versuche die permanente Präsenz meines Freundes in meinem Leben durch andere Menschen zu ersetzen. Auch habe ich festgestellt, dass diese Menschen hier natürlich ihre eigenen Leben zu leben haben, sodass ich mich nicht auf sie so sehr verlassen kann, wie man sich auf seinen Partner normalerweise im täglichen Leben verlässt. Es musste also etwas anderes her, bei dem ich nicht auf eine bestimmte Person angewiesen bin…
So bin ich wieder zum Tanzen zurückgekehrt. Und ich muss sagen, es fühlt sich wundervoll an. Während ich tanze vermisse ich nichts und niemanden, die Welt ist perfekt.
Okay, ich bin also nun in der Lage unabhängig von meiner Beziehung Lebensfreude zu generieren. Und nun? Ich frage mich an dieser Stelle wofür ich meinen Freund denn dann überhaupt brauche? Was ist der Grund für uns unsere Leben mit einander zu verbinden?
- Eine gemeinsame Zukunft wäre ein guter Grund für den Erhalt einer Beziehung, doch wie schon erwähnt denkt mein Freund nicht wirklich an Zukunft, er lebt eher in den Moment hinein. Wir planen keine Kinder, keinen Hauskauf und keine Heirat. Seine Familie ist sehr kulturell und er kann ihnen nur eine Frau vorstellen, die er vor hat zu heiraten. Nach fast drei Jahren habe ich seine Eltern nicht getroffen und es scheint ihm nicht wirklich etwas auszumachen, dass er mit ihnen nicht über mich sprechen kann.
- Es ist andererseits auch nicht so, dass wir mit einander Pferde stehlen und jeden Tag als wäre es der letzte auskosten. Wir gehen selten auf Reisen und haben auch unterschiedliche Vorstellungen vom perfekten Urlaub. Ich liebe den Ozean und könnte ständig ans Meer und er würde am liebsten gar nicht erst ins Wasser. Ich bin ein viel leidenschaftlicher und abenteuerlustigerer Mensch als er und auch sehr viel mehr wissbegierig. Mir fällt es schwer an einem Punkt stehen zu bleiben, ich will mich stets weiterentwickeln und aus festen Strukturen ausbrechen. Er dagegen erwartet und braucht nicht viel um glücklich zu sein, seine Welt ist perfekt auch wenn er über Jahre in der gleichen festen Struktur bleibt ohne großes Feuerwerk der Gefühle, solange er sich entspannen kann und es keine Probleme gibt.
- Ich kann nicht wirklich sagen, dass wir Seelenverwandte sind und einander etwas geben können, wonach wir unser Leben lang vergeblich gesucht haben und es schlussendlich bei einander gefunden haben. Wir verstehen uns sehr gut, sind immer für einander da und haben den gleichen Humor. Er ist ein extrem gutherziger und positiver Mensch mit dem es Spaß macht Zeit zu verbringen, aber es versetzt mich in Ektase wenn wir mit einander sprechen oder über das Leben philosophieren. Wir sind sehr unterschiedliche Menschen: Ich bin sehr emotional und stelle eine Verbindung mit anderen Menschen meist über Verletzlichkeit her wobei ich mich selbst mitteile und meist beobachte wie der andere Mensch sich öffnet. Er dagegen ist jemand der im Leben viel unerfahrener ist und noch gar nicht wirklich Herzschmerz erfahren hat. Wenn er mit anderen Menschen eine Verbindung herstellt ist es oft einfach durch Fragen stellen (was meist sehr gut ankommt auch wenn dadurch kein tiefes Band entsteht, dennoch fühlt sich der Mensch immer extrem wertgeschätzt) oder über alltägliche Themen und Small Talk. Ich glaube auch, dass er das was mich am meisten ausmacht nicht so liebt wie er es sollte…mein Temperament, meine Leidenschaft, mein Feuer. Und genau so schätze ich ihn als die Oase der Ruhe die er ist vielleicht nicht in dem Ausmaß in dem er es verdient. Er will mich ruhiger und ich will ihn feuriger, doch leider sind wir nicht bei „Wünsch Dir Was“ und man kann und sollte die Essenz eines Menschen nicht ändern.
- Und schlussendlich, die Liebe. Wir lieben uns, respektieren, schätzen und unterstützen uns. Wir sind harmonisch mit einander und behandeln uns sehr gut. Es gibt keine schrecklichen Dramen und kein hysterisches Weinen bis 4 Uhr morgens, keine Verzweiflung und keine Gewalt. Aber das Gefühl, dass mein Freund mich als die Frau seines Lebens sieht, habe ich leider nicht. Und ich selbst kann einfach nicht anders, als mich zu fragen, ob das denn schon alles ist? Und ich glaube wenn es „The One“ ist, dann denkt man eher „Lieber Gott, bitte nehme ihn mir nicht weg bis wir uralt sind!“ anstatt des Gedankens „Und das ist es nun bis an unser Lebensende?“.
Ich habe wirklich erwartet, dass wenn ich aus England weggehe unsere Gefühle sich überschlagen werden und ich Nachrichten voller „Ich liebe dich und brauche dich, die Welt ist nicht lebenswert ohne dich!“ und vielleicht auch „Ich vermisse es dich zu berühren, ich bin ständig so erregt und kann nicht aufhören an dich zu denken!“ erhalte. Jedoch muss ich sagen, dass dies nicht in dem Ausmaß eingetroffen ist, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich habe nun einen Freund in einer anderen Stadt mit dem ich weder über unsere Zukunftsträume reden kann, noch über das Leben philosophieren kann und auch keine Pläne zum Pferde stehlen schmiede.
Was denkt ihr, liebe Leser? Was ist euer Rat an mich?